Europa & Co

Gedanken zum Brexit und Arno Kompatschers Europaregion


von ARMIN GSCHNELL

Armin G.
Armin Gschnell (23), wohnt in Kurtatsch, studiert Soziologie an der Universität Innsbruck und ist Mitglied der Schützenkompanie Kurtatsch.

Seit nunmehr Freitag ist es fix: Großbritannien wird die EU verlassen und das innerhalb der nächsten zwei Jahre.
Monate lang wurde um das Für und Wider eines Austrittes diskutiert und geworben. Kurz vor diesem politischen Paukenschlag hat es Landeshauptmann Arno Kompatscher – ein starker Verfechter der Europäischen Union – mit einem Interview in die Süddeutsche Zeitung vom 22. Juni geschafft.

„Für uns war Europa immer Chance und Hoffnung.“ so Kompatscher in der SZ.  Auf die Frage, warum die Europa bei vielen Europäern einen schlechten Ruf habe, meinte unser Landeshauptmann: „(..) Überall in der EU haben es sich die Politiker in den Hauptstädten, aber auch auf regionaler Ebene einfach gemacht: Brüssel und Straßburg wurden für alles Negative verantwortlich gemacht. Die Schuld wurde immer auf die EU geschoben.“

Das wäre soziologisch aber eine schlechthin zu kurz gegriffene Antwort auf dieses Phänomen. Mag wohl die Aussage Kompatschers zutreffen, so ist sie doch nur ein Teil der Antwort.  Tagtäglich finden sich die Menschen mit den Richtlinien der EU konfrontiert, welche bereits in alle Lebensbereiche eingreifen. Ihr eigentlicher Auftrag, die Schaffung von Frieden und wirtschaftlichen Vorteilen, scheint für Viele jedoch verfehlt. Seit mehreren Jahren wird die Kritik am Werdegang der EU immer lauter. Spürbar an der Tatsache, dass die EU-kritischen Parteien stark an Wählerschaft zunehmen. Gleichzeitig sind aber weder all jene Politiker, noch ihre Wähler gänzlich gegen das Konzept einer Europäischen Gemeinschaft, wohl aber gegen die derzeitige Politik in Brüssel (Bankensysteme, Währungspolitik und Flüchtlingskrise). In vielen Mitgliedsstaaten steigt die Arbeitslosenquote kontinuierlich an und somit die Notwendigkeit des nationalstaatlichen Sozialwesens.
Ist der Europäer, der die Sicherheit in der EU sucht, sie nur bedingt findet und leider immer mehr nach einem starken Nationalstaat ruft – der einzelne Staat als Retter des nationalen Marktes und somit der Existenz seiner Bürger – zukunftsfördernd für die EU?

Einfach ausgedrückt: Übergebe ich eine Arbeit jemanden, so erwarte ich mir ein zufriedenstellendes Ergebnis. Ist dies nicht der Fall, greift die einfache Logik: Ich mache es selbst!
Es scheinen sich zwei Lager zu bilden: Jenes, welches sich für den Erhalt der derzeitigen EU ausspricht und jenes, welches die Mitgliedschaft des eigenen Staates in der EU in Frage stellt und im Grunde nach obiger Logik argumentiert.

Argumentieren zwar beide Seiten mit scheinbar kompromissbereiten Aussagen, so ist von Annäherung und Zusammenarbeit keine Spur. Erstere krümmen kaum einen Finger um Änderungen am derzeitigen Zustand  vorzunehmen und kritisieren dabei jene Länder, die versuchen einen neuen Weg einzuschlagen. Zweitere scheinen auf einem solch radikalen Weg zu wandeln, der den Grundgedanken der Europäischen Union in Frage stellt und die Rückkehr zum Nationalstaat als einzige Rettung proklamiert – Brexit eben!

Brexit hin oder her – die Fragen, die sich mir stellen, sind gänzlich andere: Ist der demokratische Wille der Bürgerinnen und Bürger schlecht? Sollte eine Demokratie nicht so weit entwickelt sein, um über jedes Thema frei abstimmen zu können? Warum werden Entscheidungen von Referenden so positiv oder negativ gewertet? Ist die Zukunft nicht die viel gepredigte Direkte Demokratie, bei der der Entscheid der Menschen einfach als gegeben erachtet werden soll? Entscheiden sie nicht über ihr eigenes Schicksal?

Auch ich bin ein Befürworter der Europäischen Union als Garant für Sicherheit und wirtschaftlicher Zusammenarbeit. Meines Erachtens befindet sich die EU derzeit an einem Scheideweg. Der Austritt Großbritanniens ist ein Zeichen dafür. Weder die Befürworter noch die Gegner der Europäischen Union bieten mir eine akzeptable Zukunftsaussicht! Die Einheit Europas ist sicherlich die Grundlage ihrer weiteren Existenz, doch scheint mir der Ausstieg Großbritanniens aus Sicht der Briten recht schlüssig. Vor allem aber macht der Brexit auf die dringende Neuordnung der EU-Politik aufmerksam.
Wenig produktiv ist es, Zukunftsängste der Briten zu schüren, haben sie doch nur einen neuen Weg beschritten. Der Austritt ist derzeit weder als „gut“ noch als „schlecht“ zu bewerten – er ist neu und anders. Wie er sich manifestiert, wird sich erst zeigen. Gleichfalls ist eine Rückkehr in die EU kein Ding der Unmöglichkeit.

Landeshauptmann Kompatscher ist gleichzusetzen mit den hochrangigen EU-Politikern: Die eigentlichen Probleme werden nur teilweise erkannt und anstatt Ursachenbekämpfung betreibt man Folgenbekämpfung, um am derzeitigen Stand der Dinge festzuhalten.

Beispielhaft sind hierbei die „starren“ und auch konservativen Überlegungen Kompatschers im Interview mit der Süddeutschen Zeitung. Seine Argumente scheinen zwar kurzfristig plausibel, doch sind sie langfristig gesehen ein Widerspruch zu meinem Verständnis der zukünftigen EU. Für mich bedeutet eine Union der Zukunft: ein konstanter Abbau des Nationalstaates, nachhaltige und auch regionale Wirtschaftskreisläufe um die Arbeitslosigkeit zu senken, soziale Absicherung und fast gänzliche Beseitigung der nationalen Zentralisierung. Ähnlich wie Fürst Hans Adam II. in seinem Buch „Der Staat im 3. Jahrtausend“ schreibt, ist eine größere regionale Zusammenarbeit und Verwaltung die Zukunft des modernen Staates, oder das was von ihm noch übrig ist. Die Direkte Demokratie sollte möglichst ausgebaut werden, um eine Resignation gegenüber der Politik zu vermeiden und den Willen der Wähler authentisch umzusetzen.

Wie auch ich, sieht Arno Kompatscher die Zukunft Südtirols eingebettet in die Europäische Union, wir sind beide Verfechter der direkten Demokratie und auch der Europaregion Tirol – die der Landeshauptmann als einziges „realistisches“ Zukunftsmodell propagiert – könnte ich einiges abgewinnen. Doch in der Interpretation von „europäischen Lösungen“ unterscheiden wir uns völlig:
Er bewirbt die Euregio im SZ-Interview als wirtschaftliches und kulturelles Zukunftsmodell und bezeichnet sie als „Chance auf eine Art von Wiedervereinigung der historischen Grafschaft Tirol auf europäischem Wege“,  eine Loslösung von Südtirol aus dem italienischen Nationalstaat lehnt er aber zugleich ab, denn diese bringe nur neue Konflikte und gefährde all das, was wir erreicht hätten.“

Wenn wir uns aber dem nationalstaatlichen Einfluss Italiens durch eine effektive Europaregion Tirol entziehen wollen, muss die Europaregion mehr bedeuten als eine Zusammenarbeit in Wirtschaft und Kultur. Eine direktdemokratische, regionale, „natürliche“ und gleichzeitig europäische Entwicklung  würde vorraussetzen, dass sich Südtirol anhand der Selbstbestimmung über zwei verschiedene Varianten neu definieren kann:
1. Die Europaregion Tirol (mit jeweiligem Volksentscheid im Bundesland Tirol und im Trentino) oder
2. Südtirol – Sudtirolo, als neue Region, neuer Staat in Europa.
Leider greift auch hier wieder Kompatschers adynamische Politik. Er sieht ganz Europa im Wandel, doch die Selbstbestimmung und eine Neuorientierung Südtirols ist für ihn unrealistisch. Dem widersprechen teilweise nicht nur seine eigenen Argumente, sondern auch die aktuellen Beispiele, wie das Unabhängigkeits-Referendum Schottlands oder auch das Brexit-Referendum Großbritanniens. Selbstbestimmung ist trotz nationalstaatlichem Widerstand möglich, aber nicht ohne Selbstengagement!

Neue regionale Zusammenschlüsse könnten die kulturelle und wirtschaftliche Landschaft Europas neu gestalten. Der große Nationalstaat zerfällt langsam und Neoregionen können sich in einem einheitlichen Europa wiederfinden. Dazu bedarf es einerseits des Engagements der Bevölkerung und deren Politiker, so wie eines Referendums das den Bürgerwillen erörtert.

Was zu Beginn als Zersplitterung in Kleinstaaten scheinen mag, kann als Zukunft Europas verstanden werden – ganz nach dem Motto „In Vielfalt vereint“.

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